Argumente des SBK Bern gegen die geplanten Sparmassnahmen

Mittelfristig werden mit der Angebots- und Strukturüberprüfung (ASP 2014) über 600 Stellen im Kanton Bern abgebaut (ASP S. 7). Wer mit Sparmassnahmen direkt oder indirekt Personalkosten im Gesundheitswesen senkt, nimmt einen Abbau der Pflegequalität in Kauf – und das werden unweigerlich die Menschen spüren, die Pflege benötigen. Dieser Zusammenhang muss uns allen klar sein, insbesondere aber auch den Politikerinnen und Politikern, die in der Novembersession über das Sparmassnahmenpaket zu entscheiden haben.
 
Um die Pflegenden im Beruf zu halten, dürfen wir, nebst der ohnehin zu niedrigen Lohneinstufung der Pflegefachleute im Kanton Bern – das zeigte eine Studie des SBK Bern – und dem im Vergleich mit anderen Kantonen bestehenden Lohnrückstand, nicht noch weitere Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen zulassen. Daher lehnt der SBK Bern im Interesse seiner Mitglieder und deren Patientinnen und Patienten alle Sparmassnahmen ab, welche zu einer kritischen Pflegequalitätseinbusse führen. 
 
Mit dem Sparpaket, das im Rahmen der ASP 2014 geschnürt worden ist, werden explizit  Qualitätseinbussen in Kauf genommen (ASP 2014, S. 70). Wir schildern Ihnen dazu einige konkrete Beispiele:

Argumente gegen die Sparmassnahmen in der Psychiatrieversorgung
 
Das Pflegepersonal in den kantonalen Psychiatriebetrieben ist bereits jetzt nahe am Limit und kann einen geregelten Betrieb kaum mehr aufrecht erhalten. Dafür sprechen auch die vielen Abgänge von Pflegepersonen nach relativ kurzer Anstellungszeit.
 
Das Sparziel von CHF 5 Mio. in den kantonalen Psychiatriebetrieben soll durch Personalabbau erreicht werden. Die Streichung von Stellen wird die Kosten direkt senken, was tiefere Tarife zur Folge haben wird. Da sich die Krankenversicherer von Gesetzes wegen zu 45 Prozent an den Tarifen beteiligen, sparen sie mit.
 
Als Beispiel: Der Tarif für eine bestimmte Leistung beträgt CHF 100.-; 45% von CHF 100.- sind CHF 45.-, soviel erhält die Institution. Nun wird der Tarif für die gleiche Leistung auf CHF 50.- gesenkt; 45% von CHF 50.- beträgt nur noch CHF 22.50, das ist, was die Institution jetzt noch erhält. Der Krankenversicherer spart also CHF 22.50 für die gleiche Leistung mit. Die Institution muss deshalb faktisch insgesamt CHF 9.1 Mio. einsparen, damit beim Kanton CHF 5 Mio. Einsparungen resultieren.
 
Oder anders gesagt: Gerechnet werden muss mit dem Abbau von 40-50 Stellen!

Sparfolgen:

  • Erhöhte Personalfluktuation aufgrund der steigenden Belastung
  • Mehr Krankheitsausfälle
  • Weniger Kontinuität in der Pflege
  • Weniger Zeit für die in der Psychiatrie wichtige Beziehungsgestaltung und das Coaching der Patienten
  • Reduktion in der Qualität und der Nachhaltigkeit der Behandlung

Wir lehnen die Sparmassnahmen in diesem Umfang wegen ihrer Folgen ab!

Argmente gegen die Sparmassnahmen in der Langzeitversorgung
 
Mit der Einführung der Diagnosis Related Groups (DRG) lag plötzlich die Nachversorgung brach: Ein medizinisch nicht akut kranker Mensch rentiert im System dieser finanziellen Abgeltung für die Betriebe nämlich nicht. Folge davon ist, dass in der Langzeitpflege zunehmend medizinische Versorgung stattfindet. Mit den vorgeschlagenen Sparmassnahmen werden der Nachversorgung die Mittel drastisch gekürzt. Das wird kritisch für die Pflegequalität! Verschiedene Studien zeigen nämlich, dass weniger Personal schlechtere Hygiene und damit mehr nosokomiale Infekte zur Folge hat. Damit erhöht sich die Komplikationsrate und die Mortalität.
 
Spitzenmedizin wird ohne Berücksichtigung der Tatsache finanziert, dass jede ärztliche Intervention pflegerische Versorgung nach sich zieht. Das ist gegenüber den Patientinnen und Patienten unfair!
 
Zwei Beispiele:
 
Eine Fachangestellte Gesundheit (FAGE) hat nach Ausbildungsabschluss den Arbeitsplatz gewechselt. Nach 3 Tagen Einführung muss sie bereits die Tagesverantwortung für zwei Pflegeeinheiten übernehmen. Sie kann sich weder räumlich orientieren noch überblickt sie die Bewohnerinnen und Bewohner mit ihrem individuellen Pflegebedarf.  Sie muss Blutzucker messen, Insulin spritzen, Medikamente verteilen und komplexe Dekubitus Wunden versorgen. Für Letzteres gibt es Pflegematerial in Hülle und Fülle, aber niemand ist da, den sie fragen kann, wie sie es für diese Wunde am effektivsten verwenden kann. Angst, Stress und Demotivation sind Folgen dieser Situation.
 
Eine Bewohnerin trat mit einer versorgten Verletzung an der Augenbraue in Heim ein, die Fäden waren noch drin. Auf der Abteilung arbeiteten nur Pflegehelferinnen SRK, wohl nicht zuletzt aus Spargründen. Ihnen konnte niemand einen Vorwurf machen, dass die Fäden ins Fleisch einwuchsen, denn sie sind nicht ausgebildet für diese Tätigkeit.
 
Rund zwei Drittel der Bewohnerinnen und Bewohner in Schweizer Pflegeheimen sind an Demenz erkrankt. Der Anteil mit einer ärztlich diagnostizierten Demenz liegt bei gut 40% (Entwurf einer Nationalen Demenzstrategie 2014-2017, S. 13). Die Pflege von dementen Patienten erfordert nicht nur viel Fachwissen, sondern auch Zeit für die kranken Menschen. Wer soll ihre Pflege nach der Senkung  der Kostenbeteiligung des Kantons noch wahrnehmen?
 
Die Kürzung der Pflegebeiträge um 1,8% in Kombination mit der Kürzung des Infrastrukturbeitrags an die Institutionen um 30% lehnen wir ab! 

Argumente gegen die Sparmassnamen in der Spitexversorgung
 
Das Sparpaket sieht vor, die Entschädigung für die Versorgungspflicht der Pflege um 25% zu kürzen. Der SPITEX Verband stellt klar, dass er auf die Versorgungspflicht – das heisst innert 24 Stunden jeden nachgefragten Einsatz nach pflegerischen Leistungen kantonsweit zu befriedigen – verzichten müsste, wenn diese Leistung defizitär werden sollte.
 
Mögliche Folgen:
 
Eine noch auf Wunderversorgung angewiesene Patientin wird nach einer Hüftgelenksoperation nach Hause geschickt. Dort steht keine Pflegefachfrau bereit, um ihre Wunde zu versorgen. Verunsicherung und Ängste, Wundinfektion, Schmerzen und ein nicht zu bewältigender Alltag sind in Aussicht, gefolgt von einem Wiedereintritt ins Spital.
 
Die Spitex hat weniger Personalbedarf und entlässt etliche Pflegende. Einige von ihnen suchen sich aufgrund des Spardrucks nicht eine neue Anstellung im angestammten Beruf, da sie die Verschlechterung der Pflegequalität nicht länger mittragen wollen.
 
Die Sparmassnahmen bei der Versorgungspflicht sind aufzuheben!

Agrumente gegen die Schliessung des Standortes Thun, Bildungszentrum Pflege
 
Der Standort Thun des Bildungszentrum Pflege rekrutiert im Berner Oberland und im Wallis angesichts des drohenden Pflegenotstands zukünftig dringend benötigte Fachpersonen mit einem Diplomabschluss HF. Die Rekrutierungsbasis, insbesondere im Wallis, könnte sich verringern, womit die langfristig nachteiligen Folgen der Zentralisierung die effektiven kurzfristigen Einsparungen überwiegen.
 
Der Standort Thun ist beizubehalten!

Wir haben Ihnen einige Folgen und mögliche Beispiele der Sparmassnahmen aufgezeigt.
 
Welche dieser geschilderten Qualitätseinbussen wollen Sie in Kauf nehmen?
 
Wenn schon gespart werden muss, wo sind Sparalternativen? Es gibt offene Überprüfungsfelder, die der Regierungsrat aus zeitlichen Gründen noch nicht beurteilt hat (ASP, S. 137). Es wäre sinnvoller, sich die Zeit zu nehmen und kritisch nachzufragen, ob beispielsweise das Sparpotential

  • beim Bau- und Unterhaltsstandard des Kantons,
  • bei der Zentralisierung und Standardisierung von Querschnittsfunktionen in der Verwaltung,
  • bei den Optimierungsmöglichkeiten im Bereich der kantonalen Gebäudebewirtschaftung oder
  • in Anwendung des Vollkostenprinzips in Bereichen, in welchen der Kanton an Dritte (sprich: Private) verrechenbare Leistungen anbietet,

für unsere Solidargemeinschaft mit Kranken und Schwachen – so wie wir sie gemäss unserer Rechtsordnung haben – nicht weniger schmerzhaft wäre.