Medienmitteilung: Was braucht es, um den Pflegenotstand zu entschärfen?

Auch im Kanton Bern gibt es kein Aufatmen, trotz der Annahme der Pflegeinitiative vor zwei Jahren. Denn bis die Gesetze greifen und die zentralen Massnahmen umgesetzt sind, vergehen kostbare Jahre. Zeit, die wir nicht haben. Übermüdetes Personal, zu wenig Zeit für die Pflege, Pflegende, die den Beruf aufgeben. Der Fachkräftemangel ist nirgends so dramatisch wie im Gesundheitswesen. Vieles läuft falsch. Der SBK Bern fordert Sofortmassnahmen und beteiligt sich aktiv an einer rascheren Umsetzung der Pflegeinitiative.

 

Am 28. November 2021 hat das Schweizer Stimmvolk die Pflegeinitiative angenommen. Der Bundesrat setzt die Initiative in zwei Etappen um. Die erste beinhaltet sowohl eine Ausbildungsoffensive wie auch die direkte Abrechnung von Leistungen durch Pflegende. Die dazu notwendigen Gesetzesänderungen sind weit fortgeschritten und sollen voraussichtlich im ersten Halbjahr 2024 zur Umsetzung kommen. Mit der zweiten Etappe werden die zentralen Forderungen der Pflegeinitiative umgesetzt. Im Zentrum stehen hier Massnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen, berufliche Entwicklungsmöglichkeiten der Pflegenden und die angemessene Abgeltung der Pflegeleistungen. Es ist geplant, sowohl den Vorentwurf zum Bundesgesetz über anforderungsgerechte Arbeitsbedingungen in der Pflege wie auch jener zur Revision des Gesundheitsberufsgesetzes bis spätestens Frühling 2024 in die Vernehmlassung zu schicken.

Gemäss einer vom CHUV publizierten Studie, gaben 13 % der befragten Gesundheitsfachkräfte an, dass sie ihren Beruf nicht weiter ausüben werden, wenn sich die Arbeitsbedingungen in den kommenden Monaten nicht verbessern. Die Studie untersuchte zwischen Oktober 2022 bis Januar 2023 rund 30 Berufe der Gesundheitsbranche in der gesamten Schweiz.
„Wir dürfen diese Personen nicht verlieren und müssen alles dafür tun, dass sie im Beruf bleiben“, sagt Manuela Kocher Hirt, Präsidentin des SBK Bern. Obwohl die Ausbildungszahlen aller Qualifikationsniveaus der Pflege- und Betreuungsberufe in den letzten Jahren gestiegen sind (siehe nationaler Versorgungsbericht), wird dies nicht ausreichen, um den Bedarf an pflegerischen Leistungen, zu decken.

Was also läuft falsch? 

Das Schweizer Gesundheitswesen ist derart komplex und die Verantwortungen fragmentiert, dass es sehr schwierig ist einfache Lösungen zu finden. Es braucht alle - vom Bund, über die Kantone, die Versicherer, die Institutionen und die Sozialpartner - damit sich etwas ändert. Im Moment scheint jedoch keiner bereit zu sein, den ersten Schritt zu machen. „Dieses Zuwarten gefährdet die Versorgungssicherheit unnötig“, so Kocher Hirt. Als Berufsverband setzt sich der SBK Bern aktiv und konstruktiv in folgenden Bereichen für Lösungen ein:

1.    Änderung der Priorisierung in der Umsetzung der Pflegeinitiative 

Es ist sehr wichtig, Nachwuchs in die Pflegeberufe zu bringen und mehr Fachpersonen auszubilden. Doch dies braucht Zeit und wird kurzfristig die Lücke durch Pensionierungen und die Berufsaustritte nicht decken. Der Fokus muss jetzt auf jenen Massnahmen liegen, die erfahrene Pflegende im Beruf halten. Für die bereits ausgebildeten Pflegenden stehen die Arbeitsbedingungen, genügend Zeit für Patientinnen und Patienten, die Vereinbarkeit im Familien- und Berufsleben sowie die beruflichen Entwicklungsmöglich-keiten im Vordergrund. „Die zweite Etappe der Pflegeinitiative beinhaltet entsprechende Massnahmen in diesem Bereich, aber uns läuft die Zeit davon.“ moniert Manuela Kocher Hirt. „Wir können nicht warten, bis die gesetzlichen Grundlagen ausgearbeitet sind. Der SBK Bern fordert die Betriebe, den Kanton und die Versicherer auf, zu handeln, um Verbesserungen zu erwirken und den Teufelskreis zu durchbrechen.“  

Lösungsansätze des SBK Bern: 

  • Seit diesem Sommer kann der SBK Bern in der Taskforce des Kantons Bern Einsitz nehmen. Die Taskforce besteht aus den Leistungserbringenden, den Verbänden im  Gesundheitswesen, den Sozialpartnern und der Verwaltung der Gesundheits- Sozial- und Integrationsdirektion des Kantons Bern. Der SBK Bern setzt sich in der Taskforce dafür ein, dass Lösungen zielführend erarbeitet und umgesetzt werden können. Wichtigstes Ziel sind Massnahmen, die zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen (Einhaltung der gesetzlichen Pausen- und Ruhezeiten, des Arbeitsgesetzes, verbindliche Dienstplanung usw.) führen. Diese sollen ausgearbeitet werden, damit sie in allen Versorgungsbereichen im Kanton gemeinsam umgesetzt werden können. Zudem sollen die Empfehlungen aus der Strainstudie berücksichtigt werden. 
  • Es braucht eine Roadmap: Der SBK Schweiz und die Gewerkschaften VPOD, Unia und Syna fordern bereits seit einem Jahr Sofortmassnahmen, die kantonsweit in allen Versorgungsbereichen umgesetzt werden können (z.B. Lohnerhöhungen, Erhöhung der Zulagen und Zeitgutschriften sowie die Abgeltung der tatsächlichen Arbeitszeit). 

2.    Zukunftsfähige Lohnentwicklung garantieren 

Die Kostenentwicklung im Gesundheitswesen ist nicht von der Hand zu weisen. Dafür gibt es verschiedene Gründe. Fehlanreize im System führen dazu, dass die Spitäler gezwungen sind, immer mehr Fälle zu generieren, damit sie die Kosten decken können. Aber dies ist nicht mehr ausreichend. Die meisten Spitäler schreiben rote Zahlen und müssen ihre Reserven anzapfen. Dass die Tarife nicht kostendeckend sind, verschärft die Situation zusätzlich. 
Dies bekommt auch das Personal zu spüren: Fehlende Lohnentwicklung, kein Geld für die Reduktion der Arbeitszeit, obwohl dies das Personal entlasten und der Abwanderung aus dem Beruf entgegenwirken würde. Dadurch geraten die Spitäler noch mehr unter Druck und der Konkurrenzkampf ums Personal wird zur Überlebensfrage.

Lösungsansätze des SBK Bern: 

  • Im Rahmen des GAV Berner Spitäler und Kliniken setzen wir uns bei den jährlichen Lohnverhandlungen für eine marktgerechte Entlöhnung des Pflegepersonals ein.
  • In der Langzeitpflege konnten wir im Rahmen des GAV Bernischer Langzeitpflege-Institutionen sicherstellen, dass mindestens die vom Kanton gesprochenen Mittel in  Lohnmassnahmen flossen. Dies werden wir auch in diesem Jahr wieder einfordern.
  • Es braucht eindeutig mehr Mittel für die Pflege. Hier ist der Kanton in der Verantwortung, denn er bestimmt die Lohnentwicklungen in der Langzeitpflege und der Spitex. Daher erwarten wir, dass er die Lohnsumme im Kantonsbudget entsprechend erhöht.
  • Eine GAV-Pflicht soll die Arbeitsbedingungen für alle im Gesundheitswesen tätigen Personen verbessern, indem die bisher nicht unterstellten Institutionen/Organisationen einem bestehenden Vertrag beitreten oder Verhandlungen aufnehmen müssen.

3.    Öffentliche Gelder sinnvoll einsetzen
Bereits im Paket der ersten Etappe der Pflegeinitiative sehen der Bund und die Kantone für die Ausbildungsoffensive bis zu einer Milliarde Franken während acht Jahren vor. Die Kantone sind in der Verantwortung, die Gelder für die Ausbildungsoffensive beim Bund zu beantragen und können Projekte einreichen.

 Lösungsansätze des SBK Bern zur Etappe 1 der Pflegeinitiative:

  • Der SBK Bern fordert vom Kanton Transparenz bei den Zuteilungskriterien der Studierenden auf die verschiedenen Gesundheitsinstitutionen. Das System muss     garantieren, dass alle Regionen und Versorgungsgebiete gleichmässig berücksichtigt werden. Dies auch, weil das Seeland und der Berner Jura mit der Zweisprachigkeit speziell gefordert sind. 
  • Monitoring und regelmässige Information über den Stand der Ausbildungszahlen. 
  • Institutionen sollen besser in ihrer Aufgabenerfüllung der Ausbildungsaufgabe unterstützt werden. BerufsbildnerInnen brauchen mehr Zeit um die Lernenden und     Studierenden zu begleiten. Die Ausbildung muss mehr ins Zentrum gerückt werden, denn sie ist massgebend für die Qualitätssicherung in der Pflege. Bessere     Rahmenbedingungen sind nötig, damit mehr Personen ausgebildet werden und anschliessend im Beruf gehalten werden können.
  • Konzepte wie dasjenige der Ausbildungsstation sollen vermehrt im ganzen Kanton über die Versorgungsbereiche implementiert werden.
  • Der SBK Bern erwartet vom Regierungsrat konkrete Angaben zum Verfahren für die Vergabe der Beiträge an die beiden Ausbildungszentren im Bereich Pflege und eine transparente Offenlegung zu den relevanten Kennzahlen (z.B. Erhöhung Anzahl Ausbildungen Pflege HF und FH).
  • Um die Ausbildungszahlen zu steigern, ist die Erhöhung der Ausbildungsbeiträge für Absolventinnen und Absolventen in der Ausbildung Pflege HF und FH ein wichtiges Element. Damit sollen sie ihre Lebenshaltungskosten besser decken können. Der SBK Bern fordert ein einfaches und pragmatisches Umsetzungskonzept, das jetzt rasch erarbeitet und kommuniziert werden soll. Die Rahmenbedingungen für Personen, welche sich für eine Pflegeausbildung interessierten, sollen noch vor Beginn der nächsten Ausbildungsgänge geklärt sein.  

Auf nationaler Ebene geht die konsolidierte Erklärung der Verbände der Arbeitnehmenden und der GDK in eine ähnliche Richtung.

Für weitere Auskünfte wenden Sie sich bitte an: Manuela Kocher Hirt, Präsidentin SBK Sektion Bern, manuela.kochertest@sbk-be.ch, Telefon 031 380 54 64